Salzkammergut Trophy

Einmal Hölle und zurück

Juli 2016.   Die Salzkammergut-Trophy in Bad Goisern gilt zu Recht als härtestes MTB-Rennen der Welt. Unser Bike-Experte Timo Rokitta hat sich dieser Herausforderung gestellt.   

Es ist halb fünf und noch stockdunkel in Bad Goisern. Ich stehe mit meinem Mountainbike im Startblock zur Extremstrecke bei der Salzkammergut-Trophy in Bad Goisern. 211 Kilometer und weit über 7.000 Höhenmeter liegen im Laufe des Tages noch vor mir. Obwohl ich mir in diesem Jahr bis heute knapp 11.000 Radkilometer in die Beine gepumpt habe, ist mein Respekt riesengroß. 

Als der Streckensprecher dann noch anfängt die prominenten Starter zu begrüßen, wird mir immer flauer im Magen. Etliche "Race across America" sowie "Race across the Alps" Stars lassen doch erhebliche Zweifel an dem Unternehmen in mir aufkommen. Der ehemalige österreichische Skisprungstar Andreas Goldberger vervollständigt dieses illustre Feld.

Pünktlich mit dem Startschuss setzt der Regen ein und sorgt gleich für eine willkommene Abkühlung. Meine Betreuerin Mandy fährt mit ihrem E-Bike wieder zurück zum Hotel, um ausgiebig zu frühstücken. Die ersten Kilometer geht es auf Asphalt den Berg hoch. Die Steigung ist noch erträglich nach dem frühen Kaltstart. Nach ca. 5 Kilometern beginnt der Schotter und die Steigung liegt bei deutlich über 15%. Das Fahrerfeld schiebt dann auch schon kurz darauf über grobe glatte Steine ihre Räder.

Diejenigen, die fahren wollen, rutschen mehr als sie im Sattel sitzen und vergeuden so am Anfang schon unnötig viel Kraft. Nach fast 900 Höhenmetern rast mein Puls und ich überlege ernsthaft, ob ich aufhören soll. Es folgt eine schnelle Abfahrt auf einem feuchten Waldweg. Viele haben hier schon einen Plattenfuß und flicken ihre Reifen. Nach der ersten Verpflegung geht es hoch zur Hütteneckalm. Die folgende Abfahrt ist für mich schlicht unfahrbar. Es geht über einen schlammigen Trail und über große feuchte Wurzeln. Viele stürzen schon beim Laufen und die wenigen, die sich noch im Sattel halten können, landen unweigerlich an einem der Bäume. Nach einer kleinen Verschnaufpause auf einen fast flachen Waldweg folgt die ewige Wand. Der ausgesetzte Trail mit seinen spektakulären Felsüberhängen und dunklen Tunnels ist das Sahnestück der Trophy.

Im Tal geht es in Lauffen über Treppen und eine schmale Brücke zum Assistenzpunkt in Weissenbach. Mandy übergibt mir vier Drinks, die ich im Trikot verstaue – mit viel Schwung und Motivation trete ich gleich wieder in die Pedale.

Es geht nun für ein paar Kilometer den Fluss entlang. Die Strecke ist teilweise mit Wurzeln übersäht und erfordert erhöhte Aufmerksamkeit. An einer kurzen knackigen Auffahrt stürzt vor mir ein Biker, ein anderer hinter ihm kann nicht mehr bremsen und überfährt ihn. Er überschlägt sich und ich kann gerade noch ausweichen. Ein paar Meter weiter stehen zwei Streckenposten, denen ich zurufe, dass sie zu den Gestürzten laufen sollen. Nach 45 Kilometern geht es den gleichen Asphaltanstieg wie zu Beginn hinauf, jedoch biegt die Strecke nun nach rechts ab. An der Verpflegung stecke ich mir zwei kleine Stücke Banane ein und esse diese auf der Abfahrt. Nach dem kleinen Ort Reith geht es extrem steil auf Asphalt hoch. Die anschließende Abfahrt führt über einen Skihang fast senkrecht wieder nach unten. Ich schiebe teilweise zur Sicherheit, wie auch die meisten anderen Biker, den Berg hinunter.

Auf dem folgenden schlammigen Trail inmitten riesiger Farne habe ich dann ein Déjà-vu der besonderen Art. Ein lautes Krachen erschüttert mich in Mark und Bein. Ich merke sofort, dass etwas gebrochen ist. Als ich anhalte, sehe ich die Katastrophe sofort. Die Sattelstütze ist wie Ende April beim MTB-Marathon am Gardasee gebrochen. Ich setzte mich neben das Rad und schreie meinen Frust heraus – ich weiß, dass es mit gebrochener Sattelstütze fast keine Chance mehr gibt weiterzufahren. Die ganze Vorbereitung und der enorme Aufwand für die Salzkammergut-Trophy gehen mir durch den Kopf - ich bin total am Boden zerstört. Die vorbeifahrenden Biker denken zuerst ich wäre gestürzt und bieten mir Hilfe an, die ich natürlich ablehne. Stehend fahre ich 200 Meter weiter bis zu einem kleinen Parkplatz, wo einige Betreuer von Fahrern stehen.

Ich frage eine Frau, ob sie eine Sattelstütze dabei hat. Sie zeigt mir sofort ihr E-Bike, jedoch ist die Sattelstütze zu dick. Ein weiterer Betreuer macht den Vorschlag, die Sattelstütze weiter in den Rahmen zu schieben. Ich schraube sie los, drücke sie fest in den Rahmen und siehe da, sie hält einigermaßen fest. Mit dem Sattel auf "Halbmast" kann ich irgendwie weiterfahren. Mit dem Telefon der Frau rufe ich Mandy an und sage ihr, dass sie eine 27er-Sattelstütze kaufen soll.

Voll mit Adrenalin fahre ich bergauf weiter. Auf der folgenden verregneten Abfahrt halte ich bei einem Fahrer an der sein Bike schiebt. Ich frage ihn, ob er eine Panne hat und ich seine Sattelstütze haben kann. Er meinte, dass ich alles von ihm haben kann und zeigt auf sein Schaltwerk, das abgerissen ist und im Hinterrad steckt. Jedoch ist seine Sattelstütze ebenfalls zu dick.

Im jetzt heftigen Regen geht es hoch zur Tauernkreuzung. Meine Brille ist verschmutzt und beschlagen. Während der Fahrt putze ich sie und sehe danach wieder klar und deutlich, dass die B-Strecke nun für ein kurzes Stück gemeinsam mit der A-Strecke unterwegs ist. Jetzt folgt eine Hammerabfahrt über kindskopfgroße Steine an einem Hang entlang. Rechts geht es mindestens 500 Meter in den Abgrund – ich schiebe an den schwierigen Stellen wieder zur Sicherheit. Die zweite Auffahrt hoch zur Hütteneckalm ist im unteren, asphaltierten Bereich wieder unsagbar steil und erst ab dem Schotter wieder flüssig zu fahren. Kurz vor der ewigen Wand kommt die Kurzstrecke auf den Trail und es staut sich teilweise.

Nach der Abfahrt geht es zum nun wieder zum Assistenzpunkt nach Weissenbach. Von Weitem kann ich schon Mandy erkennen, wie sie mir mit einer Sattelstütze in der Hand winkt - ich bin erleichtert. Wir rennen zu einem der Mechaniker und tragen unser Anliegen vor. Der Mechaniker traut sich jedoch nicht die gebrochene Sattelstütze, die nur noch an ein paar Carbonfäden hängt, herauszuziehen. Ich ziehe sie selbst mit einem festen Ruck heraus – Glück gehabt. Während der Mechaniker die Montage der neuen Aluminiumsattelstütze vornimmt, renne ich schnell zum Verpflegungsstand und esse etwas vom leckeren Lebkuchen.

Frisch motiviert schwinge ich mich danach wieder in den Sattel – ich bin jetzt fest davon überzeugt zu finishen, obwohl ich durch die Panne Zeit verloren habe und mein Vorsprung auf das Zeitlimit wie Eis in der heißen Sonne schmilzt. Die breite Waldpiste zur Chorinskyklause ist gut und flüssig zu befahren und ich bin permanent am Überholen. Als ich an zwei österreichischen "Kurzstrecklern" vorbeifahre, erkennen diese an meiner Verschmutzung, dass ich auf der A-Strecke unterwegs bin und schon über 120 Kilometer in den Beinen habe. Einer der beiden meint dazu lapidar "dö is wieder so a Wahnsinniger"!

An der Verpflegung bin ich so motiviert, dass ich die leere Flasche meiner Spezialmischung mit einem solchen Schwung wegwerfe und dabei den Lenker verreiße. Mich haut es direkt vor dem Buffet auf die rechte Seite und das Bein beginnt sofort zu bluten. Peinlich von dem Missgeschick berührt stehe ich schnell wieder auf und trete ohne etwas zu essen weiter. Oben heraus wird die Strecke wieder steiler, sie bleibt aber noch fahrbar. Was jetzt folgt, ist für mich der blanke Horror. Die Abfahrt entlang der Jochwand stellt schon zu Fuß eine Herausforderung ohnegleichen dar. Es geht mit Absätzen von fast einem Meter über nasse Wurzeln und Felsen. Mehrmals rutsche ich zu Fuß fast aus, nur mit Glück kann ich auf den schon wackeligen Beinen bleiben.

Unten bin ich zum dritten und letzten Mal in Weissenbach und lade von Mandy wieder ein paar Drinks ein. Die weitere Strecke führt nun im Uhrzeigersinn um den malerischen Hallstätter See herum. Das Panorama ist traumhaft, es wäre toll, wenn man Zeit hätte, es sich dies anzusehen.

In Hallstatt wird es dann ernst – es geht den berüchtigten Salzberg hinauf. Im Ort verpflegt mich Mandy zum letzten Mal mit vier Drinks. Von Anfang an ist die Steigung extrem - kein Wunder bei schon 150 harten Kilometern in den Beinen. Ab jetzt geht es auf drei Kilometern über 500 Höhenmeter hinauf. Gleich zu Beginn steige ich ab und schiebe mein Rad mit 3 bis 4 km/h die Serpentinen hoch. Es wundert mich, dass viele Biker noch fahren können. Doch wie sich später herausstellt, sollten diese an der Roßalm dafür büßen müssen. Am Eingang zum Hallstätter Salzbergwerk ist die steilste Stelle mit über 35 %. Hier steht ein Streckensprecher mit dem Mikrofon und feuert alle Fahrer an. Als er meine Namen ruft, würde ich ihm am liebsten eine reinhauen – ich habe jedoch keine Kraft mehr dazu.

Bei Kilometer 155 ist das vorletzte Zeitlimit erreicht. Ich esse eine Handvoll Nüsse und quäle mich weiter denn Berg hoch. Es sind von hier aus noch sechs Kilometer und knapp 650 Höhenmeter bis zur Alm. Im oberen Teil der Auffahrt muss ich wieder schieben – ich bin angezählt, mir ist schlecht und ich bekomme Magenprobleme. Zum Glück ist hier eine kleine und willkommene Verpflegungsstelle. Ich bitte eine ältere Frau, mir alle Tabletten aus meinem Fach am Trikot zu holen. Sie wundert sich, was ich alles dabei habe. Die Schmerztablette spüle ich mit reichlich Cola hinunter. Zusätzlich schlucke ich eine Magenblockertablette.

Auf der Schussfahrt hinunter zum Gossau See geht es mir schlagartig wieder besser. Ich fliege förmlich über die breite Piste mit über 50 km/h ins Tal. Ab dem Gossau See geht es auf die Straße, ich trete noch mehr rein und setze mich wie ein Profi auf das Oberrohr des Mountainbikes. Mit über 73 km/h schieße ich über den Asphalt - hoffentlich gibt es hier keine Radarkontrolle wie so oft in Österreich.

Doch wenige Kilometer weiter biegt die Strecke schon wieder nach rechts ins Gelände ab. Das Letzte Zeitlimit ist erreicht und ein Stein fällt mir vom Herzen. Ich lasse meiner Kette die „Letzte Ölung“ von einem Mechaniker geben und esse einen Butterkeks. Der Letzte Anstieg mit gut 400 Höhenmetern ist nun auch kein Problem mehr. Wie im Rausch nähere ich mich dem Hallstätter See. Ich trete wie in Trance und was die Beine hergeben. Am See geht es für einige Kilometer auf der Straße entlang. Das ist nun mein Terrain wie im Letzten Jahr bei Paris-Brest-Paris. Ich trete mit 37 km/h und hinter mir bildet sich ein Fahrerfeld, das an meinem Hinterrad lutscht. Der Letzte gut zu fahrende Waldtrail stellt auch kein Hindernis mehr da. Ich fahre immer an der Spitze, gejagt von der Meute.

Am Ortseingang von Bad Goisern beschleunige ich noch einmal. Mein Puls ist am Anschlag, der Tacho zeigt über 40 km/h. Als ich mich umdrehe, sind nur noch zwei Biker hinter mir. Der Tscheche, der mir am Hinterrad hängt, ruft mir trocken zu: "Du bist ein Panzerwagen"!

Im Zielauslauf muss ich eine Vollbremsung machen, um nicht in die anderen Finisher zu knallen. Mandy erkennt mich gleich und ist erleichtert nach dem ganzen Wirrwarr mit der Sattelstütze und dem Sturz. Mein Kreislauf sackt kurz ab und ich lege mich für ein paar Minuten auf einen unheimlich bequemen Bürgersteig. Es ist geschafft – ich bin ein Survivor!

Daten:
Kilometer 214
Zeit brutto 15:18 h
Zeit netto 14:48 h
Durchschnittgeschwindigkeit: 14,48 km/h
Pannen: Sattelstütze gebrochen, ein Sturz.

Text: Timo Rokitta
Fotos: Sportfotograf  7; Mandy Rodriguez 3

Ergebnisse + mehr
Die gesamten Ergebnisse aller Teilnehmer, die A-Strecke, Fotos und News findet ihr unter www.trophy.at.         

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